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EuGH schränkt deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein

EuGH schränkt deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein
(Donnerstag, 01. Dezember 2016)

In der Rechtssache C-148/15 hat der EuGH am 19.10.2016 die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln - jedenfalls für ausländische Versandapotheken - für rechtswidrig erklärt.

Hier der Volltext der Entscheidung.

Zum Nachtrag 01.12.2016 am Ende des Langtextes

Warum hat der EuGH so entschieden?

Der EuGH hat zunächst festgestellt, dass sich die Festlegung einheitlicher Abgabepreise auf ausländische Versandapotheken stärker auswirkt als auf in Deutschland ansässige Apotheken. Dadurch könnte der Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden als für inländische Erzeugnisse. Daher ist die für ausländische Versandapotheken geltende deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (§ 78 Abs. 1 Satz 4 AMG) eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung, Art. 34 AEUV.

Dafür kann Deutschland keine Rechtfertigung im Sinne des Art. 36 AEUV geltend machen. Eine Rechtfertigung könnte aufgrund des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen bestehen. Darunter könnte prinzipiell auch die Gewährleistung einer flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung fallen. Der EuGH hat aber das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als verletzt angesehen. Die Preisbindung sei nicht geeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen.

Die von Deutschland im Verfahren vorgetragenen Argumente hätten die Notwendigkeit einer Preisbindung für das Ziel der Gewährleistung einer flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung nicht untermauert.  

Ausführlich dazu: Rn. 37 bis 44 des Urteils.

Wie geht es im konkreten Verfahren weiter?

Das vorlegende Gericht - OLG Düsseldorf - muss nun unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils die in seinem Verfahren gestellten konkreten Rechtsfragen beantworten und durch ein entsprechendes Urteil entscheiden.  

Was bedeutet die Entscheidung und welche weiteren Folgen sind denkbar?

Zunächst wird das OLG Düsseldorf entscheiden, dass Art. 34 AEUV der Vorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG entgegensteht.

Künftig werden ausländische Versandapotheken beim Versand von Rx-Arzneimitteln nach Deutschland nicht mehr an die AMPreisV gebunden sein.

Die deutschen Vorschriften zur Preisbindung werden zunächst für deutsche Apotheken weitergelten. Allerdings dürfte fraglich sein, ob die deutsche Regelung angesichts der Argumentation des EuGH (Preisbindung ist unverhältnismäßig) noch lange zu halten ist.

Im Falle einer Reaktion des deutschen Gesetzgebers - über die reine Streichung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG hinaus - sind derzeit zwei Optionen denkbar:

1. Freigabe der Arzneimittelpreise generell auch für Rx, auch für Deutschland

2. Rx-Versandhandelsverbot, um indirekt geringere Preise ausländischer Versandapotheken bei Rx-Arzneimitteln zu verhindern

Wäre ein Rx-Versandhandelsverbot in Deutschland rechtlich zulässig?

Zunächst ist aus europarechtlicher Sicht zu berücksichtigen, dass der EuGH beim Versandhandelsverbot differenziert (EuGH, Urteil vom 11.12.2003 – C-322/01 –, juris). Ein OTC-Versandhandelsverbot wäre europarechtlich unzulässig. Im Bereich Rx dürfen die Mitgliedstaaten im nationalen Recht Versandhandelsverbote regeln.

Auf den ersten Blick wäre die Änderung der deutschen Regelungen zum Versandhandel mit einem Rx-Versandhandelsverbot nach der Rechtsprechung des EuGH europarechtlich zulässig. Problematisch könnte allerdings der zeitliche Zusammenhang mit dem Urteil des EuGH vom 19.10.2016 sein. Das Rx-Versandhandelsverbot würde offenkundig – so auch ausdrückliche Äußerungen aus dem Bundesgesundheitsministerium – dazu dienen, die Auswirkungen des EuGH-Urteils zu neutralisieren. Hier besteht die Gefahr, dass eine solche  – an sich zulässige – Regelung als Umgehung der Vorschriften zum freien Warenverkehr angesehen werden könnte. Vergleichbar wird ja auch im Fall der PKW-Maut diskutiert. Dort werden zwei - einzeln an sich rechtmäßige - Regelungen (Senkung der Kfz-Steuer + Einführung einer PKW-Maut für alle Straßenbenutzer) in ihrer Kombination europarechtswidrig.

Jetzt rächt es sich, dass Deutschland in vorauseilendem Gehorsam, ohne das Urteil des EuGH vom 11.12.2003 zum Versandhandel abzuwarten, den Versandhandel zuvor sowohl im Bereich OTC als auch im Bereich Rx vollständig liberalisiert hat.

Darüber hinaus könnte ein jetzt verhängtes Rx-Versandhandelsverbot verfassungsrechtlich bedenklich sein. Ein solches Verbot greift in die Berufsausübungsfreiheit und ggf. in die Eigentumsrechte bestehender Versandhändler ein. Ob ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, dürfte – insbesondere mit Blick auf den seit über zehn Jahren im wesentlichen beanstandungfrei laufenden Versandhandel - strittig sein.

Verstoßen Rabatte ausländischer Versandapotheken im Bereich der GKV gegen den Rahmenvertrag?

Inzwischen wird diskutiert, dass der zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband abgeschlossene Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung der Rabattgewährung ausländischer Versandapotheken entgegenstünde.

Ausländische Versandapotheken dürfen mit den gesetzlichen Krankenkassen nur abrechnen, wenn sie diesem Rahmenvertrag beigetreten sind. Die vertragliche Preisbindung soll sich aus § 2b  Abs. 2 Satz 2 des Rahmenvertrages ergeben:

"Für Abrechnungen unter den Voraussetzungen nach Satz 1 gelten die Preisvorschriften nach § 78 Arzneimittelgesetz sowie § 7 Heilmittelwerbegesetz (sog. Rabattverbot)."

Das klingt auf den ersten Blick einleuchtend.

Allerdings könnte umgekehrt auch argumentiert werden, dass § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG:

"Die Arzneimittelpreisverordnung, die auf Grund von Satz 1 erlassen worden ist, gilt auch für Arzneimittel, die gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden."

nach dem Urteil des EuGH europarechtswidrig ist und gerade nicht angewendet werden kann. Die AMPreisV gilt in diesen Fällen also gerade nicht. Der diesbezügliche Bezug des Rahmenvertrages läuft im Falle ausländischer Versandapotheken somit ins Leere und begründet kein Rabattverbot.

Falls die gesetzlichen Krankenkassen überhaupt ein Interesse daran haben sollten, die rabattierte Arzneimittelversorgung durch ausländische Versandapotheken nicht zu vergüten, wird diese Frage von der Rechtsprechung zu klären sein.

Da der Rahmenvertrag auf Vorschriften des SGB V beruht, die gesetzlichen Krankenkassen im Wesentlichen als Behörden gelten und ausländischen Versandapotheken ohne Beitritt zum Rahmenvertrag die Versorgung deutscher GKV-Patienten unmöglich ist, könnte eine Auslegung des Rahmenvertrags im Sinne eines Rx-Rabattverbots für ausländische Versandapotheken europarechtswidrig sein. Denn ein solches Rabattverbot wäre genauso wie im Ausgangsfall eine Maßnahme des deutschen Staates, die sich als unzulässige Maßnahme gleicher Wirkung (wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung) darstellt.

Nachtrag 01.12.2016:

Inzwischen wird von einigen Anwälten die Ansicht vertreten, die Abrechnung der ausländischen Versandapotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen ohne Berücksichtigung von Rabatten würde den Tatbestand des Betrugs erfüllen.

Siehe: http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/nachricht-detail/versandapotheken-docmorris-rx-boni-ein-fall-fuer-den-staatsanwalt-beihilfe-zum-versicherungsbetrug/

Diese Ansicht ist schon deswegen falsch, weil sich die Abrechnung der Apotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen ausschließlich nach den Vorschriften des SGB V und den aufgrund dieser Vorschriften abgeschlossenen Verträgen richtet. In den §§ 129 ff. SGB V  ist genau festgelegt, welche Zwangsrabatte und welche vertraglich vereinbarten Rabatte den Krankenkassen zustehen bzw. zustehen können. So war es auch kein Abrechnungsbetrug durch Apotheken als Firmen noch Naturalrabatte gewähren durften und die Apotheken insgesamt eine höhere Marge erzielen konnten als ihnen nach der AMPreisV zugestanden hätte. Es war Sache des Gesetzgebers, zum einen Naturalrabatte zu verbieten und zum anderen über den Zwangsgenerikarabatt diese Marge abzuschöpfen und den Krankenkassen zuzuordnen.

Insgesamt halte ich in der laufenden Diskussion um die Rabattgewährung durch ausländische Versandapotheken die strafrechtliche Keule nicht für ein geeignetes Mittel der Auseinandersetzung.