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Coronavirus: Viertes Bevölkerungsschutzgesetz verfassungswidrig

Coronavirus: Viertes Bevölkerungsschutzgesetz verfassungswidrig
(Mittwoch, 14. April 2021)

Die Regierungsfraktionen im Bundestag haben den Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vorgelegt. Mit diesem Gesetz soll das Infektionsschutzgesetz um bundeseinheitliche Regelungen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100 ergänzt werden (§ 28b IfSG).

BT-Drucksache 19/28444 vom 13.04.2021

UPDATE siehe unten

Dieses Gesetz ist wegen eklatanter Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungswidrig.

Bezeichnend ist dabei bereits, dass es unter Abschnitt C. „Alternativen“ lapidar heißt: „Keine“. In vielen Gesetzesvorhaben scheint die Pflicht zur Alternativenprüfung zur reinen Förmelei zu verkommen.

Der Gesetzgeber muss des Weiteren an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erinnert werden:

Grundrechtseingriffe bedürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eines legitimen Zwecks und müssen zur Erreichung dieses Zwecks des Weiteren geeignet, erforderlich und angemessen sein (siehe nur: BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 –, BVerfGE 128, 226).

Eine nächtliche Ausgangssperre ist bereits deswegen unverhältnismäßig, weil sie zum Erreichen des Zwecks nach Meinung von Wissenschaftlern offensichtlich ungeeignet, in jedem Fall aber nicht erforderlich ist. 

Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen und Offener Brief dazu vom 11.04.2021.

Warum Baumärkte beim Schließen anders behandelt werden als Gartenmärkte oder Buchhandlungen, erschließt sich dem vernünftigen Betrachter auch nicht. Auch Baumärkte gehören zum täglichen Bedarf. Wer das bestreitet, musste noch nie akut einen Wasserhahn oder Ähnliches reparieren. 

Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz über 200 sollen u. a. Schulen geschlossen werden (Durchführung von Präsenzunterricht untersagt). 

Die Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte hingegen versteckt der Gesetzgeber hinter der Formulierung: 

"Für Einrichtungen nach § 33 Nummer 1 und 2 gelten Satz 2 und Satz 3 entsprechend."

Wahrscheinlich fürchtet der Gesetzgeber vorab den Zorn der Eltern und hofft, dass die Eltern die Regelung erst spät bemerken. 

Eindeutig verfassungswidrig ist auch, dass keine Differenzierung hinsichtlich geimpfter Personen vorgenommen wird. 

Warum soll ein vollständig Geimpfter beim Friseur einen aktuellen Negativtest vorlegen? 

Warum dürfen Kosmetikerinnen keine Geimpften behandeln? So könnten sie wenigsten einen Teil ihres Einkommens erzielen.

Das Robert Koch–Institut hat eindeutig festgestellt (und dem Bundesgesundheitsministeriums mitgeteilt), dass von Geimpften so gut wie keine Infektionsgefahr ausgeht. 

Die Nichtberücksichtigung eines Impfstatus verletzt die Betroffenen (die Geimpften sowie die Anbieter von Waren und Dienstleistungen) in ihren Grundrechten. Die vage Möglichkeit einer entsprechenden Ermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums ist insoweit nicht ausreichend. 

Verfassungsrechtlich fragwürdig erscheint schließlich auch die Tatsache, dass das Bundesgesundheitsministerium die Ermächtigung erhält, Rechtsverordnungen mit weiteren Einschränkungen ab einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100 zu erlassen.

Zwar bedürfen diese Rechtsverordnungen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.

Die Zustimmung des Bundestags gilt aber als erteilt, wenn der Bundestag nicht binnen sieben Tagen nach Eingang der Vorlage der Bundesregierung die Zustimmung verweigert hat!

Jetzt wird Schweigen im Rechtsverkehr mit Rechtsfolgen im Gesetzgebungsverfahren eingeführt! Das Grundgesetz sieht so etwas im Gesetzgebungsverfahren nicht vor! 

UPDATE: Zumindest diese verfassungsrechtlich haarsträubende Regelung der Zustimmungsfiktion wurde nicht in die endgültige Fassung des Gesetzes aufgenommen.

Die oben genannten Verstöße reichen bereits aus, das geplante Gesetz als eindeutig verfassungswidrig erscheinen zu lassen.

Dabei wurde hier noch gar nicht diskutiert, ob Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz:

"Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren"

eine ausreichende Kompetenz des Bundesgesetzgebers für die geplanten Maßnahmen begründen kann, und ob sich der Bund im Bereich Schule/Kita/Hochschule unzulässig in Kompetenzen der Länder einmischt.

Abgesehen von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzesentwurfs stellt dieser eine unglaubliche staatliche Bevormundung und ein Misstrauensvotum gegen Länder, Kommunen und Bevölkerung dar. 

Das hat der Deutsche Landkreistag sehr schön formuliert:

"Der vorliegende Entwurf ist ein in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen."

So bleibt zu hoffen, dass der Entwurf nicht nur von den Oppositionsparteien in der Luft zerrissen wird, sondern dass es genügend standhafte Parlamentarier in den Reihen der Regierungsparteien gibt, die sich diesem Irrsinn verweigern. UPDATE: Leider nur 21 der CDU/CSU und 2 der SPD.

Die Regierung sollte besser eine vernünftige Impfkampagne auf die Beine stellen und nicht dafür sorgen, dass schnellen Impfungen ständig Steine in den Weg gelegt werden. 4 Millionen Impfdosen liegen ungenutzt in Deutschland herum! (FAZ vom 14.04.2021, Seite 1 und Seite 15)

UPDATE:

Inzwischen trat das Gesetz in Kraft: Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.04.2021, BGBl. I, S. 802.

Die Kritikpunkte hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit wurden nicht ausreichend ausgeräumt. So wurde zwar eine Verordnungsermächtigung zur Regelung Geimpfter in das Gesetz aufgenommen. Die Rückgabe von Grundrechten an Geimpfte müssen allerdings sofort erfolgen und nicht erst in nächster Zeit. Auch die sog. Entschärfung der Ausgangssperre ist völlig unzureichend. Die Ausgangssperre ist ungeeignet und nicht erforderlich.